30.09.2016 - CHO OYU, 8201 m - Göttin des Türkis

Von: Toni


Aufstieg im Schneetreiben auf 7300 m

Hier bauen wir Camp 3 auf 7400 m unterhalb des gelben Bandes

Nächtlicher Aufstieg am Gipfeltag

Meine Teamkollegen als Sauerstoff-Bergsteiger

Erste Sonnenstrahlen auf den umliegenden 7000ern

Aufsteiger mit Mehrsicht auf über 8000 m

Rast auf 8100 m, kurz vor dem Gipfel

happy summiters: Jangbu Sherpa, Toni

zurück in Camp3 auf 7400 m

Es gibt nur 14 Berge, die höher als 8000 m sind. Einer davon ist der Cho Oyu, die Nummer 6 in der Rangliste der Höchsten. Der Berg liegt an der Grenze zwischen Nepal und Tibet, unweit des Mount Everest. Sein Name wird übersetzt mit: Göttin des Türkis.

Für Toni Spirig aus Celerina hat dieser Berg eine besondere Bedeutung. Vor 34 Jahren ist sein Seilpartner Reinhard Karl dort in einer Eislawine ums Leben gekommen. Als Bergsteiger an den höchsten Bergen ist man ständig konfrontiert mit der Möglichkeit des eigenen Scheiterns.

 

 

Camp III, 7400 m

Hier oben ist alles extrem anstrengend und die beissende Kälte ist allgegenwärtig. Die Eiskristalle an den Zeltwänden glitzern im Schein der Stirnlampe. Jeder Atemstoss kondensiert unmittelbar zu Nebel und Eispartikeln. Wir sind zu dritt im Zelt: Farzin und Randy, die beiden Amis, und ich. Farzin hat sein Sauerstoffgerät ausgeschaltet und die Atemmaske beiseite gelegt. Es ist für ihn unmöglich, damit zu schlafen.

Viel trinken ist wichtig für die Akklimatisation in grosser Höhe. Dies bedeutet, dass man hin und wieder mal muss. Es ist windstill, so kann ich das draussen am Zelt erledigen und zugleich nach dem Wetter schauen. Ich bin ganz schön ausser Atem bis ich mich aus dem Schlafsack befreit, die Daunenschichten und die Aussenschale der Schuhe angezogen habe.

Draussen erwartet mich ein klarer Sternenhimmel mit unzähligen Lichtpunkten. Es ist faszinierend, hier zu stehen und einfach nur zu staunen. Während mein Blick herumschweift, erkenne ich Lichtpunkte unter mir, draussen in der Hochebene von Tibet. Dort muss Wärme sein, Menschen und Leben. Hier aber ist alles eisig kalt und lebensfeindlich, denn hier beginnt die gefürchtete Todeszone.

Ein beklemmendes Gefühl beschleicht mich. Werde ich die Höhen über mir ertragen?  Das Wetter scheint perfekt, es ist fast windstill. Ideale Bedingungen also für den langersehnten Gang zum Gipfel.

Zuversichtlich krieche ich nochmals in den Schlafsack. Beim Dahindösen überlege ich mir die Reihenfolge der Abläufe beim Anziehen der umfangreichen Expeditions-Ausrüstung, um dann effizient loszulegen. Kurz nach Mitternacht werden wir aktiv. Es ist eng im Zelt, unsere Daunensachen rauben uns den Platz, den wir eigentlich für das Anziehen unserer Ausrüstung bräuchten.

Nach einer gefühlten Ewigkeit bin ich endlich bereit, auch die LEDs meiner Schuhsohlenheizung leuchten als rote Lichtpunkte durch die Gamaschen. Zusammen mit Farzin gehe ich los. Jangbu und Tenji, die beiden Sherpas sind bereits vorausgestiegen und installieren die Fixseile für uns. Auch sie nehmen Sauerstoff aus der Flasche, wie fast alle. Meine Ambition hingegen ist eine Besteigung ohne künstlichen Sauerstoff, unter Höhenbergsteiger als «by fair means» bezeichnet. Die Erstbesteiger, damals im 1954, hatten dies auch ohne geschafft. Schon aus Respekt möchte ich ebenfalls darauf verzichten.

 

 

Nächtlicher Aufstieg

Die Handhabung der Steigklemmen mit den ganz dicken Handschuhen ist etwas umständlich. Ich wechsle auf die weniger warmen Innenhandschuhe damit geht alles schneller und auch die Hände bleiben genug warm. Die fixierten Seile sind mit Schnee und Eis überzogen. Eisige Ablagerungen behindern die Klemmfunktion meiner Steigklemme, sie rutscht oft. Das ist gefährlich, stellt sie doch meine einzige Absturzsicherung dar. Während meine Steigeisen über die Felsen des gelben Bandes kratzen, keuche ich gierig nach Atemluft ringend. Der Atem beruhigt sich aber bald wieder, also weiter. Kurz vor Hellwerden werde ich am Kopf von einem Schneebrocken getroffen, der Schein meiner Stirnlampe erlischt sofort. Mit sanftem Druck und gutem Zureden bekomme ich mein Licht wieder.

Zu Beginn gelingt es mir noch mit den Andern Schritt zu halten. Ab 7800 m werde ich aber langsamer und die Aufsteiger mit Sauerstoff beginnen mich zu überholen. Damit musste ich rechnen. Mein Gang bleibt langsam, kräfteschonend aber stetig. All meine Bergerfahrung hilft mir dabei.

Das Gipfelplateau ist elend lang. Bereits kommen mir die Ersten vom Gipfel entgegen. Es sei nicht mehr weit. Doch ich bin ziemlich kaputt. Für die letzten Schritte deponiere ich meinen Rucksack mit der gefrorenen Trinkflasche und schreite etwas erleichtert zum höchsten Punkt. Geschafft! Noch nie war ich dem Himmel so nah! Zeit zum Atmen!

Die Wolken sind leider schon da, den Everest sehe ich gerade noch darin verschwinden. Der umsichtige Jangbu-Sherpa hat oben auf mich gewartet. Ein gemeinsames Foto noch, dann beginnt bereits unser Abstieg, wohl wissend, dass ein so hoher Berg erst bestiegen ist, wenn man heil wieder unten ist. Der Abstieg ist nochmals fordernd. Doch je weiter ich absteige, desto besser fühle ich mich. Allmählich wird es gewiss, mein Traum von der Besteigung des Cho Oyu ist wirklich wahr geworden. Ein tibetisches Sprichwort sollte recht behalten: Unterschätze nie die Kraft deiner Träume!