31.01.2022 - Piz Bleis Marscha + meine "Tortur"

Von: Martin


meditativer Aufstieg unter Piz Strapazin

sonnige Passage unter Fuorcla Mulix

unter Piz Bleis Marscha

Kletterstelle am SO-Grat

ein Himmel voller Leintücher

Strapazis auf Piz Bleis Marscha

Heute geht’s auf den Piz Blais Marscha mit seinen 3127müM. Eine Tour mit ungefähr 1400hm und etwas Kletterei auf dem Gipfelgrat. So wenigstens gemäss der Ausschreibung von Toni, welche wir wie gewöhnlich einige Tage vorher erhalten. Wie auch schon letzte Woche.
Die Tour welche damals angesagt war, Piz Val Lunga ab Naz mit zwei Varianten. Eine etwas gemächlichere Option und eine, wie Toni das nennt, "für Strapazis mit leicht masochistischem Einschlag", Variante zwei, mit vielversprechenden 2200hm. Damals habe ich mich sehr für Variante "Masochist" ausgesprochen und mich schon Tage auf die Tour gefreut. Sollte sie doch bei strahlendem Sonnenschein stattfinden können.
Nun, genug der Vergangenheitsbewältigung. Im Gegensatz zum letzten Sonntag lässt der Wetterbericht heute einige Unklarheiten offen. Von Wind ist da die Rede, und zwar nicht zu knapp. Auch die Sache mit der Sicht könnte heute spannend werden. Noch einen schluck Kaffee aus der Bialetti und nochmals die Ausrüstung Checken. Und los geht’s, sonst komm ich noch zu spät.
Mit Sebastian im "Strapazi-Taxi" erreichen wir rechtzeitig den Bahnhof in Celerina, wo wir auf unseren gut gelaunten Strapazi-Häuptling treffen. Finden ein gemütliches Zugsabteil und düsen pünktlich um 0706 los. In Samedan gesellt sich Hans ebenfalls zu uns.
In Preda angekommen, vergewissert sich jeder gründlich, dass er auch sein Gepäck dabei hat, aussteigen und los geht’s. Zuerst mit der Abfahrt von Preda nach Naz. Ach Moment! Nicht für alle war dies die erste Tätigkeit. Ein nicht aufmerksamer Leser der Touren-Ausschreibung hat ein fettes F- übersehen, oder nicht verstanden. Auch könnte man vermuten das die Route vorgängig nicht so genau studiert worden ist. Dies aber reine Spekulation. Also, erstmal Fell weg.
Als wir die Felle dann in Naz aufzogen, hatte uns Sebastian dann auch wieder eingeholt.
So steigen wir auf. Durch das schöne Val Mulix erst flach, dann etwas steiler werdend. Die Sicht ist nicht so optimal und die Spuren im Schnee nicht mehr so genau auszumachen. Ob dies an den Schneeverwehungen, der Lichtverhältnisse oder einer sich anbahnenden, leichten Alterssehschwäche liegen könnte, darüber möchte ich nicht länger Nachdenken. Wenn ich einfach gerade hoch gehe, quasi in Heinz-Manier, werde ich wohl mal die Spur wieder finden. Hinten höre ich jemanden rufen. Irgendwas von flacher oder so. Darauf die Antwort von Toni:"Wir sind hier nicht auf einer SAC Tour". Innerlich muss ich lachen. Ich liebe diese trockenen Sprüche. Die gehören halt mit dazu bei den Strapazis. Sind sie zu stark, bist du zu schwach, oder so.
Weiter geht’s flacher. Richtung Laj Negr. Ich liebe diese Skitouren. Die Ruhe, die Einsamen, stillen Momente. Man kann sich die gesamte Woche, alles was man erlebt hat nochmals vor Augen führen, gewisse Dinge verarbeiten oder auch einfach nur gedankenlos die Natur geniessen.
Heute denke ich zurück an unsere Tour auf den Piz Val Lunga mit Abfahrt ins Val D'Err und Wiederaufstieg zur Fuorcla Mulix. 2200hm. Eine Tour für "Strapazis mit leicht masochistischem Einschlag". Ach, wie schön wäre diese wohl gewesen?

Rückblende

Sonntag, 23 Januar 2022, Es treffen sich die ersten Strapazis, Toni, Corinne und meine Wenigkeit, am Bahnhof Celerina ein. 0601 fährt der Zug. Die Stimmung ist gut. Obwohl sich bei mir nach dem Aufstehen einige Anlaufschwierigkeiten gezeigt hatten, wie zum Beispiel Kaffee nicht fertig und Autoschlüssel lange suchen, konnte ich dann doch den Einstieg in den Tag finden und freute mich ungemein auf eine fordernde und schöne Tour in unbekannte Gefilde. Ich fühle mich Fit für das bevorstehende Abenteuer und die Mühen der frühen Morgenstunden sind vergessen. Weitere Strapazis gesellen sich zu uns. Es sind dies Heinz, Hans, Livio, Alain und Thomas. Ein tolles Trüppchen, welches viel Spass und einen wirklich tollen Tag verspricht. In angeregter Unterhaltung fahren wir mit dem Zug durch den Albula Tunnel, wo wir dann in Preda aussteigen. Ich fühl mich fit. Leicht! Unglaublich leicht und spritzig. Warum nur? Verdammt! Rucksack! Im Zug! Ich sprinte los. Zug fährt ab.
So steh ich nun da. Mit einem Paar Ski, Stöcken und vor allem, ohne Rucksack. Bald wird klar. Ohne Rucksack, keine Tour. Und so verabschiede ich mich nach einer kurzweiligen Zugfahrt am Bahnhof Preda von meinen Mitstreitern. Da gehen sie. Ich versuche noch irgendwie an meinen Rucksack zu kommen. Chancenlos. Bei der RhB ist man scheinbar erst später erreichbar. Es ist jetzt etwa halb sieben, eher kalt und dunkel in Preda. Da Preda nicht gerade Winterthur ist, gibt es auch kein offenes Lokal oder irgendwelche Menschen die am Bahnhof herumlungern.
Was bleibt zu tun? Nichts. Absolut, nichts. Irgendwann finde ich einen Wartesaal. Er ist sogar offen. Ich setze mich hinein und in meinem Kopf beginnt es zu arbeiten. Erst mal Online eine Verlustmeldung bei der SBB erfassen. Natürlich ist der Internet-Empfang in Preda so hervorragend das dies etwa fünf Anläufe benötigt. So erledigt. Jetzt kommt die Phase wo ich mich so richtig über mich zu ärgern beginne. Das passiert gerade mir! Habe ich doch im Sommer drei lange Monate so fleissig das Zugfahren geübt! Wann kommt eigentlich der erste Zug zurück? Ach! Doch schon um 0832! Dann habe ich ja immer noch locker Ein und Dreiviertelstunden Zeit. Zeit. Viel Zeit für Gedanken. Plötzlich, über mir. AC/DC Thunderstruck. Es Knarrt. Der Bewohner des Bahnwärterhäuschens scheint aufstehen zu müssen. Ich schaue auf die Uhr. 0700. Ich beginne zu überlegen was alles im Rucksack war. Ich hoffe das morgen nicht mein ganzes Material auf Ricardo zum Verkauf auftaucht. Ich versuche nochmals in Chur am Bahnhof anzurufen. Ohne Erfolg.
Oben wird die Kaffeemaschine angeworfen und der Fernseher eingeschalten. Ich schaue auf die Uhr. 0730. Ich beginne zu rechnen wo meine Freunde wohl etwa sind und wie schön die Morgenstimmung dort oben wohl sein muss. Wo ich bin, das weiss ich. In einem kleinen hellhörigen, öden Wartehäuschen in Preda und warte auf den Zug 0832 nach Celerina. Oben rumort es weiter. Wie ich so warte und warte, schiessen mir neue Gedanken durch den Kopf. Gedanken wie: "Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen". Und unter uns Strapazis sowieso nicht. Was für Kommentare werde ich wohl in der Bildergalerie finden? Wie lange werde ich mir das wohl anhören dürfen? Welche Note wird mir Frau Lehrerin wohl für meine Glanzleistung geben?
Irgendwann ist dann auch die längste Wartezeit um und der Zug 0832 nach Celerina rollt ein. Etwas Bedrückt noch immer etwas sauer auf mich selbst und einem unguten Gefühl in der Magengegend der, wie ich meine, wohlverdienten hämisch- spöttischen Kommentare wegen, trete ich die verfrühte Rückreise ab Preda an. Meine Freunde müssen nach meiner Einschätzung nun gerade etwa auf oder knapp unter dem Gipfel sein.
Erst bei einer grossen Tasse Milchkaffe im Bos'Co in Celerina wird meine Laune besser. Vielleicht trug dazu bei das in der Zwischenzeit Meldung vom Bahnhof Chur eintraf, das mein Rucksack gefunden, ich noch spontan zum Nachtessen eingeladen wurde und die Gastgeberin auch noch gleich meinen Rucksack in Chur abholte. Egal warum. Am Schluss sehe ich ein, dass es wohl das klügste ist, darüber einfach zu lachen und freudig die Kommentare zu erwarten. Irgendwann triffts den nächsten.

So in meinen Gedanken ist die Wegstrecke, vorbei am Piz Strapazin bis zum Ski Depot im nu zurückgelegt. Natürlich lache ich innerlich nochmals über meine "TORTOUR" zum Piz Val Lunga, welche wirklich einen "leicht masochistischen" Einschlag hatte. Nur schon, wenn ich an den Ringhörigen Wartesaal in Preda denke. Man hört dort wirklich alles. ALLES!
Beim Ski Depot angekommen, ist Hans bereits verschwunden und ich mit meinen Gedanken wieder in der Gegenwart angekommen. Noch schnell Steigeisen montieren und hoch zum Piz Blais Marscha über den SO-Grat. Die Sicht ist herrlich und die Wolken zeigen ganz besonders schöne Formen. Wie Leintücher hangen Sie am Himmel. Fantastisch! Auch ist, entgegen dem Wetterbericht, die Windsituation bei weitem angenehmer als dieser heute Morgen vermuten liess, und so geniessen wir die Wolkenbilder und die Sicht auf unzählige alte Bekannte und neue mögliche Abenteuer.
Der Abstieg sowie die Abfahrt, Hans hat ein etwas höhegelegenes Ski Depot gewählt als wir und kann somit bereits die Abfahrt durchs Couloir geniessen, verläuft ohne nennenswerte Zwischenfälle. Die Hänge sind schön, es hat etwas Pulver. Den einzigen Stein auf der Abfahrt finde, natürlich, ich. Wahnsinnig wenn man bedenkt das eigentlich Hans als Geologe für die Steine zuständig ist. Es braucht halt immer jeden für eine erfolgreiche Teamleistung!
In Naz wird die Zeit knapp und trotz zügigem Aufstieg verpassen wir den Zug. Dies beschert uns einen kurzen Aufenthalt von 50 Minuten in dem mir wohlbekannten und lieb gewonnenen Preda. 50 Minuten. Pipifaz wenn ich an meine Odyssee letzte Woche denke. Und das Restaurant hat ja auch offen. So warten wir, diesmal gemeinsam, auf den Zug der '32 nach Celerina fährt. Wir sind uns einig. Es war eine großartige Tour und es hat sich gelohnt. Der SAC-Bernina hatte heute mit seiner Gipfelwahl wohl etwas weniger Glück was Pulverhänge betraf, wie sie uns am Bahnhof Preda zu berichten wussten. Auch viel mehr Wind. Ich meine ein Aufblitzen und zufriedenes Lächeln in Tonis Augen auf diese Aussage hin zu erkennen. Nach dem Motto: "alles richtig gemacht heute".
Als uns Hans in Samedan verlässt, wird wieder wohl darauf geschaut das alles und vor allem das richtige mitkommt. Stellt Hans dann im letzten Moment Sebastians Stöcke zurück und nimmt die seinen mit. In Celerina schauen alle nochmals auf die Gepäckablage, ob nichts liegen geblieben ist. Doch da ist nichts. Nichts vergessen, nichts liegenlassen. Hoffentlich krieg ich diesmal von Frau Lehrerin eine etwas bessere Note als letzten Sonntag, auch wenn Sie heute leider schwänzt und somit eine "unentschuldigte" als Eintrag kriegt.

Morgen geht’s mit dem Auto nach Casaccia. Ich bin beruhigt und etwas entspannter als heute Morgen. Nach Casaccia fährt ja kein Zug!