20.03.2014 - Piz Bleis Marscha und der Engadiner Frühling

Von: Alain Hauser


Der Autor am Gipfel des Bleis Marscha

Der Engadiner Frühling ist ausgebrochen. Im astronomischen Sinn, natürlich, am 20. März. Und im meteorologischen Sinn, kann man doch den Schneehaufen förmlich beim Schmelzen zusehen. Aber nicht zuletzt auch im politischen Sinn. Nachdem die Autokraten des Maghreb im arabischen Frühling auf die harte Tour die Demokratie gelernt haben, macht Autokrat Toni die ersten zaghaften Schritte in Richtung Demokratie aus freien Stücken und schreibt harte Touren aus – und lässt zur allgemeinen Verblüffung über drei mögliche Gipfelziele abstimmen.

Und wie sie einschlug, die Umfrage! In scheinbar harmlos-unschuldiger Süsse wird einem da an einem arbeitsreichen Dienstag der Speck durch den Mund gezogen, kriecht gewissermassen eine Schlange mit Bart und flatterndem Rossschwanz durch der Strapazis Mailprogramme und bietet einem mit listigem Lächeln drei wundervolle Äpfel zum Kosten an, mit dem Hinweis, dass man doch angesichts der miserablen Wetterprognosen fürs Wochenende schon am Donnerstag der Verführung der Berge verfallen müsse. Nun, die Arbeit türmt sich hoch, der Wille ist stark – aber, hach, das Fleisch ist schwach, und stammen wir denn nicht sowieso alle von dieser übertölpelten Eva ab?! Also nichts wie reingebissen in den Apfel!

Auch wenn die Transparenz der Abstimmung über das Tourenziel OSZE-Kriterien wohl nicht genügen würde, will der Schreibende an dieser Stelle nicht weiter schnöden, machte doch sein Favorit schliesslich das Rennen: der Piz Bleis Marscha. Und als Abstimmungssieger macht man sich bekanntlich ungern kritische Gedanken zum Abstimmungsergebnis.

A propos Abstimmungssieger: wer der Massenwanderung überdrüssig ist, wird seine helle Freude an der Val Mulix haben. Keine Menschenseele treffen wir an, als wir von Naz her gemütlich unsere Spuren in Richtung Piz Bleis Marscha ziehen. "Gemütlich"?? Nun, die werte Leserschaft wird wissen, dass nichts dem Schreibenden ferner liegt als Ironie – und so kann ich auch hier bestätigen, ehern am Grundsatz des nüchternen Realismus festzuhalten. Toni hat sich nämlich nicht nur in Demokratie geübt, sondern auch dem aus dem Rheintal anreisenden Ernesto die Gnade zuteil werden lassen, auf Grund fahrplantechnischer Komplikationen erst 42 Minuten nach der aus dem Engadin anreisenden Fraktion zu starten. Damit dieser also den Hauch einer Chance hat, aufzuholen, ziehen wir nicht rasend schnell, sondern bloss schnell los und haben unterwegs jede Menge Gelegenheit zu fotografieren und plaudern.

Als wir nach 3h30' das Skidepot erreichen, hat Ernesto uns auch schon eingeholt. Das auf den Südostgrat des Piz Bleis Marscha führende Couloir wird heute durch keine Wächte versperrt, so dass wir diesen Aufstieg wählen und so die Knacknuss der Tour, die kleine Felswand im Westen des Gipfels, elegant umgehen. Bald schon stehen wir auf dem Gipfel, der ganze Kletterklunker bleibt im Rucksack. Auf dem windstillen Gipfel geniessen wir die wärmende Frühlingssonne, manch heroische Pose wird fotografisch festgehalten, und immer wieder durchbricht ein schallendes Lachen voller Häme über die zu Hause gebliebenen Chrampfer die Stille.

Der Abstieg über den Südostgrat geht genauso leicht vonstatten wie der Aufstieg, bald schon fixieren wir die Bindungen und gleiten durch die Val Tschitta über feinen Frühlingssulz ins Tal.  Zumindest zu Beginn. Weiter unten gleiten wir auch über weniger tollen Schnee ins Tal, der den Schreibenden, mit bescheidenem skifahrerischem Können gesegnet, zu einigen spektakulären Stunts veranlasst. Aber darüber wollen wir, der Kürze zuliebe, uns nicht detaillierter auslassen.