16.06.2015 - Nevado Alpamayo, 5947 m - Strapazis als Hardcore Andinistas

Von: Toni


Alpamayo, 5947 m vom Basecamp

Alpamayo Südwestwand vom Highcamp

Alpamayo mit Highcamp

Ursina unter Eisbeschuss in der Alpamayo Südwestwand

kalte Aufsteiger zwischen den Eispilzen am Alpamayo

klettern zwischen den eisigen Monstern

Stephan auf Gipfeleispilz des Nevado Alpamayo

Ursina und Toni auf Gipfeleispilz des Nevado Alpamayo

Cyber-Junkie at work am Gipfel des Alpamayo

 

Die Gefahr an Langeweile zu sterben ist heutzutage real. Nicht so bei den Strapazis!

Weniger als einen Tag geben wir uns Zeit, um uns vom Tocllaraju zu erholen, uns zu entstauben, zu waschen, ausgiebig zu futtern, die Vorräte aufzustocken und wieder zum nächsten Abenteuer aufzubrechen. Das ambitiöse Programm hält ganz schön auf Trab. Eigentlich sind wir noch müde, als wir wieder aufbrechen. Dafür gibt es gleich zwei Tagesetappen an einem Tag. So geht das!

Aquiles, unser Arriero, macht sogar mit, will aber das gleiche Honorar, wie wenn er zwei Tage unterwegs wäre. Erst spät am Abend erreichen wir unser Basecamp bei der Laguna Arhueycocha auf 4’350 m. Für Zelte aufstellen reicht es gerade noch, aber die kulinarischen Genüsse finden bereits im Dunkeln statt.

Eigentlich sind wir reif für einen Ruhetag. Doch wir könnten den schönen Tag nutzen für einen „carry“ zum Gletscher hinauf. Mein Vorschlag stösst zwar nicht auf wahre Begeisterung, aber für einen Ruhetag ist das OK. Carry tönt einfach besser als Lastentransport, es ist alles eine Frage der Verpackung.

Neben uns keuchen die Ladies vom Red Bull Freeride-Team ebenfalls zum Gletscher hoch. Nadine Wallner und Melissa Presslaber haben sich schon tolle Titel erkämpft. Denn wer darf sich schon Freeride World Tour Champion nennen? Wir jedenfalls nicht, doch wir sind immerhin Strapazis! Die Freeride-Ladies geben sichtlich alles mit ihrer sperrigen Last. Sie wollen sich die Quitaraju Nordwand mal genauer ansehen und dort für ihre Sponsoren fotogen runterkurven.

Nach der Deponierung unserer Lasten kehren wir wieder ins Basislager zurück. Am nächsten Tag gilt es ernst, wir wollen mit all unserem teuren Wohlstandsmüll ins Alpamayo Highcamp hinauf. Die Rucksäcke sind schon verdammt schwer als wir losmarschieren, doch oben am Gletscher kommt noch das deponierte Material hinzu. Der Lastanzeiger dreht nun vollends in den roten Bereich. Nur schon die Last auf den Rücken zu kriegen ist ein schwieriges Unterfangen und geht nur mit der richtigen Technik. Doch ist die Last einmal auf dem Rücken, geht es schon irgendwie. Und Polizei-Kontrollen wegen Überlast haben wir hier nicht zu befürchten….

Zuerst gehe ich noch unangeseilt. Doch beim oberen Steilaufschwung hat sich eine tiefe Spalte vor der Steilwand aufgetan. Der Einstieg ist delikat, doch die Eisgeräte beissen sich zuverlässig ins Eis darüber. Jeder Schlag sitzt und so erklimmen wir auch die letzte steile Stufe zum Passübergang. Im Abstieg vom Pass erkennen wir eine Handvoll Zelte auf der weiten Gletscherfläche, das Highcamp. Darüber, im Nebel, erkennen wir Fragmente der Alpamayo Südwand. Uiih, ist die steil!

Gegen Abend verziehen sich sogar die Wolken und geben uns den Berg frei. Wir erkennen in der Wand noch zwei Teams, die bereits um 3.00 Uhr gestartet sind aber erst kurz vor der Dunkelheit im Highcamp eintreffen werden. Unser Respekt vor dem morgigen Tag steigt damit gewaltig an.

Frühstück um 2 Uhr, Aufbruch um 3 Uhr. Die Italiener sind mit ihrem Bergführer bereits zwei Stunden vorher aufgebrochen. Als wir uns im Dunkeln der Wand nähern, sehen wir die Lichtkegel ihrer Stirnlampen über die Wand huschen, scheinbar senkrecht über uns.

Am Bergschrund geht die Kletterei los. Wir klettern mit einer Art „running belay“ und klettern so gleichzeitig. Zwischen uns liegen stets zwei Firnanker oder Eisschrauben als Zwischensicherungen. Wir sind zu viert, in zwei Seilschaften, mit je einem 60 m Halbseil. Das ist zwar nicht ganz lehrbuchmässig, geht aber prima. Wir kommen gut voran. Bis Ueli beim Hantieren mit einer Schlinge seine Stirnlampe vom Helm streift. Die kollert dann sogleich die steile Wand runter und bleibt unten auf dem Gletscher liegen. Als einsamer Lichtpunkt leuchtet sie dort weiter. So weit oben sind wir also schon!

Es geht aber noch mehr als eine Stunde bis es hell wird. Umkehren oder weitersteigen? Ueli meint, wenn er hinten parallel  mit Ursina klettern kann, sollte ihr Licht auch für ihn reichen. Also weiter.

Bei der 4. Seillänge geht der Firn in Eis über. Die Firnanker brauchen wir fortan nicht mehr. Jetzt kommen die Eisschrauben zum Einsatz. Als ich meine erste Schraube setze, bemerke ich wie sie in einen Hohlraum dreht und dort der nackte Fels zum Vorschein kommt. Dünnes Eis in der Alpamayo Wand – also damit habe ich nun wirklich nicht gerechnet. Etwas weiter links ist das Eis etwas dicker, der Stand an zwei Eisschrauben bombensicher.

Wirklich sicher? Wenn ich die „Mushrooms“ neben und über mir so anschaue, bin ich mir da nicht mehr sicher. Da hängen doch tonnenschwere, wunderschön geformte Eisskulpturen

über unseren Köpfen. Ein Rülpser dort oben und wir hätten überhaupt keine Chance. Wie ein Damoklesschwert bedrohen uns die eisigen Monster. Keiner weiss, wann die abgehen werden. Nur eines ist sicher: Sie werden irgendwann mal abstürzen. Hoffentlich nicht heute, nicht gerade jetzt. Wir glauben bisher alles richtig gemacht zu haben. Sind nachts in die Wand eingestiegen und wollen, wenn die ersten Sonnenstrahlen in die Wand zielen wieder unten sein. Aber wissen denn auch die weissen Monster, dass wir alles richtig gemacht haben? Einem Eispilz in der Cordillera Blanca ist es doch ziemlich egal, was sich unter ihm tut. Wenn es Zeit ist abzustürzen, dann ist es eben Zeit!

Inzwischen ist es hell und Ueli kann auch wieder vorsteigen. Jetzt erst wird mir bewusst, wie viele Eisbrocken die Wand runter schiessen. Die beiden Vorsteiger und die Italiener lösen so einiges aus. Und weil die Rinne immer enger wird, prasseln die Eisbrocken nur so auf uns herab. Einige davon sind grösseren Kalibers und sie treffen schmerzhaft. Ursina erwischt es übel am Finger. Raufschauen tut man besser nicht mehr. Unsere Köpfe legen wir flach an die Eiswand, um weniger Angriffsfläche zu bieten. Wir sind echt froh um unsere Helme.

Allmählich umgeben uns Wolkenschwaden. Sie hüllen uns immer intensiver ein. Aus der erhofften Gipfelaussicht wird wohl nichts. Da kommen uns die abseilenden Italiener entgegen.

Es ist nicht mehr weit zum Gipfel, nur noch zwei Seillängen. Aber die haben es noch in sich.

Denn das Eis wird nun noch steiler und blanker. Stephan und Ueli steigen da vor. Irgendwann sind sie oben, wirklich oben. Schnell hinterher, denn die Wolken haben sich nochmals gelichtet. Und wirklich, als ich oben am Gipfelgrat aus der schattigen Südwand klettere, blinzle ich in die blendende Sonne.

Wow, was für eine Stimmung: Ueli und Stephan hocken da auf ihren Eispilzen, hoch über den Wolken, Wahnsinn! Ich klettere noch mit Ursina über zerbrechliche Eisgebilde zum höchsten Punkt am Alpamayo. Zwar bloss 5947 m hoch, aber was für ein Berg!

Hier wollte ich schon vor 33 Jahren sein, habe aber damals den langen Aufstieg über den Nordgrat nicht geschafft. Nun ist mein Traum vom Alpamayo doch noch wahr geworden.

Während ich so meine Gedanken schweifen lasse, beobachte ich Ursina, wie sie auf Ihrem Smartphone die Verbindung checkt. Und wirklich, als versierter Cyber-Junkie bringt sie das Kunststück fertig: Auf dem Gipfel-Eispilz thronend, die Füsse über dem Abgrund baumelnd, eine Message nach Hause zu verfassen. Jetzt wissen die schon, dass wir oben sind. Aber für uns ist die Sache noch lange nicht gelaufen, denn wir müssen ja noch heil wieder runter.

Die Gipfelfreude währt nur kurz, denn das schlechte Wetter ist schon da. Höchste Zeit für uns abzuhauen und abzuseilen. Dabei gelingt es mir, die meisten Abalakov-Schlingen wieder zu finden. Diese versichern wir jeweils mit Eisschrauben und seilen daran ab. Dabei müssen wir feststellen, dass die gemieteten Seile ungleich lang sind. Sie reichen im oberen Wandteil nicht von Stand zu Stand. Wir müssen improvisieren.

Der Schneefall wird intensiver. Immer öfter schiessen Schneerutsche die Wand herab. Damit wird es nun schwieriger, die vorhandenen Abalakov-Schlingen zu finden. Aber was mich noch mehr beunruhigt sind die Schneemassen, die auf uns herabrauschen. Das ist verdammt gefährlich, denn der abgleitende Schnee versucht immer wieder, uns mit in die Tiefe zu reissen. Für die Standplätze suche ich deshalb leicht ausgeprägte Rippen, um etwas aus der Schusslinie zu kommen. Aufgereiht am Stand ähneln wir eher irgendwelchen „Ice warriors“ aus einem miesen Science-Fiction-Film, als eigentlichen Genuss-Bergsteigern. Hin und wieder müssen wir den Schnee von uns abschütteln, um nicht vollständig im Weiss zu versinken. Im unteren Wandteil muss ich dann auch noch einen echten Pfister-Firnanker opfern, da ich keine Abalakov mehr finden kann. Der Firnanker verbleibt dort in der Wand. Wir geben nicht gerne solche Schätze her. Und trotzdem: Was für ein spektakulärer Ort für ein Stück Metall aus dem heimischen Engadin!