11.06.2015 - Peru: Andinistas am Tocllaraju

Von: Toni


**** Zelt im Moraine Camp, auf 4900 m

sunrise mit Sicht auf Nevado Ranrapalca

Aufsteiger durch wilde Serac-Zone am Tocllaraju

Andinistas im Aufstieg über den Wolken

steile Firnflanke zum Gipfeleispilz

Traverse unter Gipfeleispilz

Gipfelfreude pur

Abseilen über den Gipfeleispilz

bei der Abalakov-Abseilstelle unter dem Gipfel-Eispilz

Bergsteigen mit den Strapazis in den peruanischen Anden = Abenteuer pur! Doch diese Gleichung enthält leider noch weiter Komponenten wie: Üble Schindereien, Schweiss und Entbehrungen bis hin zum „Verreckerlis“ spielen. Selber schuld, wer da freiwillig mitmacht! Sollte man meinen. Und trotzdem, ein starkes Expeditionsteam begleitet mich auch diesmal zu einer kühnen Serie von Besteigungen in der Cordillera blanca.

 

Nevado Ishinca, 5530 m

Burros nennen sie hier die kleinen Esel. Sie tragen in 4 Stunden unsere Lasten ins schön gelegene Basislager zuhinterst im Ishinca-Tal, auf 4350 m. Wir nehmen diesen Service von Lorenzo, dem einheimischen Arriero, gerne in Anspruch, um unsere Kräfte noch für die kommenden Touren zu schonen. Im Basislager lagern noch weitere interessante Bergsteiger-Teams aus aller Welt.

Die friedliche Stimmung wird jedoch überschattet durch die Ereignisse der letzten Tage, die mit einem tragischen Unfall hoch oben am Tocllaraju ihren Lauf nahmen. Eine vierköpfige estnische Bergsteigergruppe ist in Gipfelnähe beim Einsturz einer Schneebrücke in eine über 20 Meter tiefe Gletscherspalte gerissen worden. Nur eine Frau hat diesen Unfall überlebt. Sie musste 30 Stunden in der Spalte ausharren und dort verletzt auf ihre Rettung warten. Was für eine traumatische Erfahrung für die einzige Überlebende!

Diese terrestrische Rettung, mit Bahre und Trägern, durch die peruanischen Bergführer haben wir hautnah miterlebt und nachts deren Lichter oben am Berg mitverfolgt. So läuft es also hier mit der Bergrettung! Eine Bergrettung mit dem Heli gibt es hier also nicht. Das müssen wir bei unseren künftigen Unternehmungen unbedingt miteinbeziehen.

 

Als Eingehtour wählen wir den Nevado Ishinca, eine einfache, harmlose Gletschertour, vergleichbar mit einer Morteratsch Besteigung. Die Tour verläuft für uns voll im Genussbereich. Auch die ungewohnten Höhen vertragen wir gut, obwohl von einer ausreichenden Akklimatisation noch kaum die Rede sein kann. Am Gipfel schauen wir auf einige der schönsten Berge. Und da steht auch unser nächster Berg, der Tocllaraju. Einladend und schöngeformt ragt er über die 6000 er Marke in den Andenhimmel. Wir beschliessen, dorthin aufbrechen, trotz den Vorkommnissen der letzten Tage.

 

Nevado Tocllaraju, 6032 m

Zur Besteigung müssen wir ein Hochlager einrichten, hoch oben am Gletscher. Das bedeutet mit schweren Rucksäcken ins Moraine Camp, auf 4900 m, aufzusteigen. Wir gehen ganz langsam, um die fehlende Akklimatisierung nicht zum Problem werden zu lassen. Neben der Gletscherausrüstung sind Biwakzeug und die Kocherei mit allen Lebensmitteln dabei. So schwere Lasten sind wir uns nicht wirklich gewohnt und leiden entsprechend im Aufstieg.

Kaum haben wir die Zelte aufgebaut, beginnt es einzunebeln und zu graupeln. Die Zelte werden kurzfristig zur Wohlfühlzone, zur 4 Sterne Herberge. Da kommen auch Erinnerungen hoch, denn mein Zelt stand hier schon mal, vor 33 Jahren! Wir fühlen uns wohlauf, haben keinerlei Symptome von Höhenkrankheit.

Bereits um drei Uhr brechen wir auf. Dabei ist es noch zwei Stunden lang dunkel. Weit oben am Berg kann ich die Lichter der beiden Polen ausmachen. Sie sind noch früher gestartet. Während wir so über den Gletscher aufsteigen, kommen wir den beiden Lichtpunkten stetig näher. Allmählich wird es Tag, damit beginnt ein Fest der Farben und Stimmungen. Es ist einfach begeisternd mitzuerleben, wie die Gipfel aus der Dunkelheit hervortreten! Kurz nach Hellwerden habe ich die Polen eingeholt. Hinter Ihnen steige ich in die steile Gipfelwand ein, setze meine beiden Firnanker als Zwischensicherung. Nach rund 60 m stehe ich unter dem allseitig überhängenden Eispilz des Gipfels. Hier entdecke ich eine Reepschnur, die durch eine Eissanduhr eingefädelt ist. Abalakov nennen sie das hier. Ich klicke meinen Express Karabiner ein und klettere weiter. Die Spur folgt einer schmalen, ausgesetzten Linie, zwischen der steilen Wand und dem bedrohlich überhängenden Eispilz. Nach rund 10 m probiere ich eine Eisschraube ins Eis zu drehen. Das Eis ist jedoch zu wenig solide und die Eisschraube dreht immer wieder in hohle Schichten. Nichts zu machen! Also weiter, ohne beruhigende Zwischensicherung. Vielleicht finde ich ja noch besseres Eis. Was nun folgt, ist definitiv kein Ort für Fehler.

Über dem Kopf hängt der weit ausladende, tonnenschwere Eispilz des Tocllaraju Gipfels. Darunter taste ich mich vorsichtig, über eine scheinbar nie endende Traverse querend, in rund 60° steilem, sprödem Eis. Ein Ausrutscher wäre hier ein fataler Fehler. Und das nicht bloss bei mir, sondern auch bei meinen Seilgefährten. Natürlich weiss ich, dass meine Seilkameraden vorsichtig genug sein werden in dieser ausgesetzten Passage. Das beruhigt meine Nerven aber nur wenig. Die Spannung ist enorm und erst nach rund 20 langen Metern gelingt es mir eine Eisschraube in solides Eis zu setzen. Danach kann ich über eine steile, eisige Stufe zum Gipfel hochsteigen. Dort ramme ich den Pickel in den Schnee und sichere meine beiden Seilgefährten, nach.

Geschafft! Unsere Emotionen schwanken zwischen Erleichterung und Gipfel-Glücksgefühlen. Diese werden begleitet von einer grossartigen Aussicht auf die eisgepanzerten Andenberge. Ursina, unsere Cyber-Lady, schafft es hier sogar, via Smartphone eine Message zu senden, die in Echtzeit zuhause empfangen wird.

Aber wie kommen wir da wieder runter? Auf die gefährliche Traverse habe ich definitiv keine Lust. Ich hoffe, dass wir über den überhängenden Gipfeleispilz abseilen können, steige darum ein Stück über den Nordgrat ab. An der vermuteten Stelle entdecke ich, vollständig unter dem Schnee begraben, eine Reepschnur. Wenn wir die noch zusätzlich versichern, können wir daran abseilen. Als sich der Erste am Doppelseil abseilt, umhüllen uns bereits dicke Wolken. Unsere Spuren und die Abalakov Schlinge kann er so nicht mehr finden. Planänderung!

Wir wollen nun die 60 m Seile der Polen einfädeln, um in einem Zug bis zum Bergschrund zu gelangen. Als Albin daran als Erster abseilt, entdeckt er doch noch die Abalakov-Schlinge. Die wollen wir nun nutzen, also erneute Planänderung. Alle müssen nun bis zur Abalakov abseilen und dort warten. Das dauert scheinbar ewig lange und unangenehme Kälte zieht unter dem böigen Windeinfluss unaufhaltsam in unsere Körper. Dann folgt weiteres Ungemach. Das lange Doppelseil lässt sich nicht  mehr abziehen, weil es sich in den ausladenden Eispilz eingeschnitten und der Knoten sich verklemmt hat. Fluchen hilft da gar nichts. Ich muss nochmals rauf, um es zu lösen. Das ist mein Job, für sowas meldet sich niemand freiwillig.

Während die Andern ungeduldig am Seil ziehen, versuche ich es halbwegs gesichert zu lösen. Ein Widerspruch? Na klar, auch das muss erst mal gegen den Wind anschreiend geklärt werden.

Als das Doppelseil endlich befreit ist, geht alles wieder flott weiter. In gewohnter Routine seilen wir zum Bergschrund ab und der Gletscherabstieg führt uns wieder heil zum Moraine Camp. Dort sind wir sind uns einig: Das war schon ziemlich hammermässig. Unsere Begeisterung für das Anden-Bergsteigen ist erwacht und ruft nach weiteren Abenteuern.