28.03.2015 - Skipatrouille Davos-St. Moritz 2015

Von: Sibylle


Materialauslegung

Hektik am Piz dal Büz

Spitzensport mit Aussicht am Piz dal Büz

Ankunft Damenteam mit Sibylle

Die Autorin am Piz dal Büz

Es war schon immer ein Traum von mir einmal die PDG (Patrouille des Glaciers) zu laufen, aber es hat sich nicht ergeben und nun sowas: Zwei Wochen vor dem Start zum Skipatrouillenlauf Davos-St. Moritz wurde ich von einer mir völlig unbekannten weiblichen Person angefragt, ob ich nicht Lust hätte das 2er-Frauenteam als dritte Läuferin zu ergänzen, um als reine Frauenpatrouille am Event teilzunehmen. Wer was wieso ich? Wie seid ihr auf mich gekommen? In der „Szene“  hat Frau auf mich aufmerksam gemacht...und schon war's um mich geschehen. Ich gebe zu, eine ziemlich kurzfristige Angelegenheit und schon kamen erste Bedenken. Schliesslich war ich trainingsmässig überhaupt nicht für solch einen Event vorbereitet. Sowas kommt bei mir eigentlich nicht in Frage so ganz „ohne“ an einem Rennen mitzuhecheln. Da für die beiden jungen Hupfer das gemeinsame Erlebnis im Vordergrund stand und sie nicht beabsichtigten die Berge hochzurennen, sagte ich zu. Die wenigen Ausflüge mit den Strapazis in dieser Wintersaison und ein paar Langlaufstunden mussten ausreichen. Nach meiner Zusage musste alles organisatorische im Eilzugtempo erledigt werden. Teamname überlegen, Anmeldung, 40-seitiges Reglement studieren, ein erstes Treffen um sich zu beschnuppern und Details besprechen, Material zusammensuchen oder ausleihen. Sogenanntes Leichtmaterial war gefragt, ansonsten würde man glatt als GREENHORN entlarvt werden...Ski, Rennfelle, Schuhe hatte ich zu Hause. Vor 2 Jahren extra für die PDG gepostet und dannzumal nur für ein 2-tägiges Training benutzt. Seitdem standen sie im Keller. Was die weiteren Zutaten anbelangt gab es sehr strenge Regeln z.B. Metallschaufel mit 50 cm Stiel (Plastik nicht erlaubt), LVS, Ersatzbatterien, Lawinensonde mindestens 240 cm Länge, Rennhelm mit DIN-Norm, First Aid-Kit, Ersatzsonnenbrille, Ersatzfelle, GPS, Kartenmaterial, Rettungsdecke mit vorgegebener Grösse...usw.

 Am Freitagnachmittag Anreise mit dem ÖV, schliesslich kommen wir mit den Skis wieder zurück ins Engadin...klingt doch cool oder?! 18:30 Uhr Briefing mit genauen Instruktionen was erlaubt ist und was nicht. Anschliessend Spaghetti-Plausch im 4*-Hotel mit edel gedeckten Tischen, feinstes Porzellan und dezente Alphornbegleitung live im Hintergrund. Das Patrouillenmenü: Salat als Vorspeise, dann Pilzravioli (mmmhmmm die waren lecker), Spaghetti rot oder rot mit Fleisch, Lasagne, zum Dessert Schoggitäfeli, Kaffee, Tee. Begleitgetränke nach Lust und Laune vom stillen über wildes Wasser bis hin zu Wein und Bier. Nobel, nobel! Ich staunte nur noch, denn solche Sportleressen finden in der Regel in Mehrzweck- oder Turnhallen an langen Holztischen mit Holzbänken und Plastikgeschirr statt. Unser Nachtlager konnten wir in einer WG aufschlagen. Samstag 02.45 Uhr Tagwache, für mich kein Problem, bin ich's doch von den Strapazitouren gewöhnt :-)) Zack, zack letzte Vorbereitungen für die ernährungsbedingte Selbstversorgung und auf zum Startgelände auf dem Arkadenplatz mitten im Dorf. Kein Schnee weit und breit. Obligatorische LVS-Kontrolle. Um 4:00 Uhr Startschuss und gemütliches Laufen mit aufgebundenen Skis zum „schneesicheren“ (Start)-Gelände Richtung Jakobshorn. Die Stirnlampen und Sterne am Himmel funkeln um die Wette. Es ist sowas von fantastisch in den Tag hineinzulaufen...wow, dieses Farbenspiel am Himmel das uns zum Tag begrüsste. Erster Fellwechsel, der gefühlsmässig Stunden dauerte und harteisige Abfahrt mit „Schlotterskis“ ins Sertigdörfli. Dort ein wenig mit den Voluntaris geschwatzt und als einziges Frauenteam für die Fotografen gemodelt. Auf dem Weg durch's Sertigtal überholen uns die 5:00 Uhr-Startläufer, die meisten von ihnen an der Leine. Wir hängen uns hinter diese „Huskygespanne“ und versuchen das Tempo mitzuhalten...naja es blieb beim Versuch. Im letzten Drittel zum Sertigpass kommt die Krise...warum...nun dieses sch...Leichtmaterial. Immer wieder rutschen die Felle rückwärts anstatt vorwärts (in etwa so 2 Schritte vor einer zurück) grrrr und die Bindung geht auch immer wieder auf. Das kostet Zeit, Kraft und Nerven. Ein Läufer eines uns folgenden Teams hilft mir im steilen schrägen Hang wieder in die Bindung zu schlüpfen...Danke vielmal...das nenne ich Teamwork. In der Wechselzone vom Pass kommt ein ebenso wie ich ausrufender schneller Überläufer mit komplett durchgebrochenem Ski und Loch-signiertem Skischuh. Auch das passiert in der Mountain-Wilderness ;-)) Schnell drücke ich eine Portion Honig in die Speiseröhre, um den Turbo zu zünden. Die Keschhütte wird sichtbar. Inzwischen habe ich mich erholt und mit raschen grossen Schritten düsen wir über den Gletscher zur Porta E-scha. Was für ein grandioses Panorama...Genuss pur...blauer Himmel, weisse Berge, schillernder Gletscher...“Was wotsch no mee“...Über die Porta müssen die Ski aufgebunden werden. Das Abseilen auf der anderen Seite der Porta ist inzwischen ein Kinderspiel für mich und ich geniesse es in vollen Zügen und sause am Seil talwärts, während meine Teammates ängstlich und extrem langsam diese Hürde überwinden. Selbstverständlich warte ich unten ganz geduldig, schliesslich sind wir ein Team! Voll Bewunderung meint eine Teammate zu mir: „Wow, du bisch wi es Wiseli durab“...das läuft wie Öl runter ;-)) Jetzt ist es nicht mehr weit, nur noch bergab. Ein kurzer Halt bei der Chamanna E-scha um Freunde zu begrüssen und kurz vom heutigen Erlebten erzählen. Mit Karacho den Hang hinunter. Zum Glück sind wir früh dran, dass der Schnee noch hält ohne zu versumpfen. An der Hangtraversierung oberhalb Zuoz  gilt es noch zwei steinige Grasflecken „fliegend“ unter die Ski zu nehmen, bevor es nach Abschnallen der Ski zu Fuss strahlend ins Ziel geht. Die ersten 2620 Hm und 34.4 km (Leistungskilometer 68.7) sind geschafft und ich fühl mich pudelwohl. Nun ist Beine hochlagern, Erholen und Massage angesagt, damit die lädierten Beine morgen wieder funktionieren. Am Abend gleiches Prozedere mit Briefing, zusätzlich Flowerzeremonie (anstatt Blumen gibt es eine Nusstorte für den 1. Rang) und wieder Pasta bis sie zu den Ohren rauskommt. Genächtigt wird zu Hause im eigenen Nest. Ach ja, da ist ja noch die Zeitumstellung auf Sommer! Bloss nicht vergessen. Wie peinlich, wenn ich morgens eine Stunde später allein auf weiter Flur stünde. Sonntag 7:00 Uhr Muntarütsch Samedan, das ist ja eine humane Zeit...fast ausgeschlafen stehen wir am Start, die Motivation lässt zu wünschen übrig...wobei ich mich heute ganz besonders auf ein Wiedersehen von drei Strapazivoluntaris irgendwo auf der Strecke freue. Für heute sind „nur“ 2500 Hm und 23.6 km (Leistungs-km 53.0) zu bewältigen, das heisst steiler als gestern...ich denke an meine Felle...grrrr. Da es heute nur zwei Startblöcke gibt, stehen viel mehr Teams am Start. Zuvorderst die ganz Verrückten, die den Berg hinaufseckeln und zuhinderst die anderen Spinner, die den Berg eher hochstolpern...hahaha. Den ersten Kilometer müssen wir mangels Schnee zu Fuss laufen. Weiter auf dem Forstweg ziehen wir pachivic auf schmalem Schneestreifen (an überholen ist nicht zu denken) dahin. Ab Alp Muntatsch wird es ernst, das Gelände wird steil und ich denke mit grossem Unbehagen an die rückwärts tendierenden Felle. Gedacht und schon passiert. Ich versuche mein Glück mit einer eigenen Spur und plopp springt der Schuh aus der Bindung. Ich bin am Fluchen und Schimpfen und es kam noch schlimmer...später... Den ersten Streckenposten bei Cho d'Valetta in Sicht. Ach siehe da, einer meiner Strapazifreunde lächelt mir entgegen, während mir alles andere als Lachen im Gesicht steht. Musste ich mich doch wegen der Lotterski fürchterlich aufregen. Für die relativ kurze bevorstehende Abfahrt nehmen wir die Felle gar nicht erst weg und eiern den Hang hinunter. Puah...Familie Oberschenkel meldet sich...was für ein Krampf. Den senkrechten Anstieg zum Piz Büz nehmen wir zu Fuss mit aufgebundenen Ski. Das passt mir, jetzt kann ich Gas geben ohne Rutschpartie. Jiipiihh!!! Aber was ist das? Eine Skispur! Sag bloss die ersten sind da mit den Ski rauf? Gschpunne...Wenn ich mir die Kulisse mit all den Skiliften und Skipisten rundherum anschaue denke ich so bei mir „das ist nun wirklich alles andere als abseits vom mainstream“, so wie ich es bei den Strapazis gewohnt bin. Nein, das muss ich nicht mehr haben. Dann der rettende nächste Streckenposten kurz nach dem Gipfel an ausgesetzter Position! Strapazihäuptling Toni höchstpersönlich, wie er leibt und lebt und wie ich mich freue und seine Anfeuerungsrufe geniesse. Zudem offeriert er mir von seinem Wundertee, der mich total aufpeppt. Jetzt müssen wir eine heikle, etwas ausgesetzte steile Flanke queren und schwupp werden wir ins Skigebiet Celerina/Marguns/Trais Fluors katapultiert. Ab hier laufen wir mehrheitlich am Pistenrand hinauf. Sowas von öde. Hinzu kommt, dass sich die Bindung einer Teammate nach einem Sturz verbogen hat (sag ich's doch...Lottermaterial). Per Handy ordern wir Werkzeug an, die Zeit und weitere Patrouillen rennen uns davon. Nach endlich gelungener Reparatur geht's weiter steil im Zickzack zur Fuorcla Grischa hinauf. Wieder kämpfe ich mit dem Leichtmaterial...schschsch...gleich beide Bindungen gehen auf. Der Teamgeist der anderen war auch nicht gerade stark ausgeprägt. Frau zog es vor mich aufzufordern dass ich zur Seite weg trete, damit sie ungehindert vorbei laufen kann. Anstatt Unterstützung zu leisten :-((( Da hat's mich verblasen. Körperlich an die Grenzen kommend, mega enttäuscht und frustriert liess ich meinen Emotionen freien Lauf und heulte los. Was soll das eigentlich, wir sind doch eine Patrouille, warum helfen sie nicht? Schliesslich ist das der historische Hintergrund eines Patrouillenlaufes...zusammenhalten, einander helfen und unterstützen... es ist so schwierig in diese Bindungen in steilem schrägen Gelände reinzukommen, warum tue ich mir das nur an etc. etc. etc. Es gelang mir irgendwann doch noch in die Bindungen reinzuschlüpfen. Als ich weiter oben zu den wartenden Teammates stiess wurde die Frage des Aufgebens in den Raum gestellt. Wie bitte? Pah...kommt nicht in Frage...hier wird nicht „Vereckerlis“ gespielt ;-))! Es ist nicht mehr weit und der Piz Nair ruft. Nachdem der Frust raus war konnte ich wieder den Turbo zünden. Am Piz Nair wurde ich vom 3. Strapazi-Streckenposten mit begeisternden Zurufen und offenen Armen empfangen. Nach alledem...Balsam für die Seele! Nun stürzten wir uns ins zerwühlt zerpflügte Andreascouloir, um danach zum letzten Mal die Felle aufzuziehen. Gottseidank ein Ende in Sicht. Die letzte Abfahrt führt uns über die gesperrte FIS-Skipiste ins Tal nach Salastrains und da endlich, der Zielbogen. Trotz müden Beinen gebe ich alles und ziehe elegante schwungvolle Kurven im Schnee. Mit Jauchzen, hocherhobenen Armen und einem glücklichen Lächeln fahre ich ins Ziel! Geschafft... für einmal mehr gesund das Ziel erreicht! Und jetzt freue ich mich mega auf die noch bevorstehenden Strapazitouren abseits vom Mainstream...

Ich grüsse Euch herzlich und bis bald Sibylle